Das Konzept der Liebe und das Konzept der Angst

Wenn wir mit Menschen umgehen, dann können wir zwei Konzepte anwenden. Das Konzept der Liebe oder das Konzept der Angst.

Das Konzept der Angst wird vor allem von Menschen gelebt, welche eine Kontroll-Illusion haben. Sie haben das Gefühl, dass sie die Umwelt und alles was rundherum geschieht kontrollieren können. Damit einhergehend möchten sie auch die Verantwortung dafür übernehmen, was in ihren Augen gut oder schief läuft. Sie greifen stark ein und gestalten über die Grenzen hinaus. Wenn etwas nicht so geht, wie sie es sich vorstellen, so strengen sie sich noch mehr an, um zu kontrollieren. Sie haben selber Angst, sie verbreiten aber auch Angst. Man kann sich bei ihnen sicher fühlen, doch die Kontroll-Illusion ist eben eine Illusion und keine echte Fähigkeit. Das Konzept der Angst scheitert an sich selber – wir haben die Wahl, ob wir das anwenden wollen. Es braucht viel Energie, funktioniert schlecht, es verbreitet Angst und schlechte Stimmung und dreht sich im Kreis. Das Konzept der Angst arbeitet mit Erwartungen. Der beste Freund der Erwartung ist die Enttäuschung. Auf der Suche, was man nächstes Mal besser machen kann, wird wieder an der Fähigkeit geschraubt, es werden neue Erwartungen geschürt… ein ewiger Teufelskreis kommt in Gang und die Umgebung wird immer giftiger.

Das Konzept der Liebe geht genau andersrum. Hier respektiere ich, dass das was gestern war, Geschichte ist. Was morgen sein wird sind Gerüchte. Das einzige was zählt ist die Gegenwart. Wenn ich mich nicht als übergeordnet ansehe, dann begegne ich der Natur, der Umwelt und den Mitmenschen mit Respekt und Demut. Ich liebe die Menschen genau so wie sie sind. Ich weiss, dass alles was geschieht nicht gegen mich gerichtet ist. Sondern es passiert, weil es passiert. Es gibt keine Zufälle. Es gibt keine schlechten Nachrichten – nur Nachrichten. Ich akzeptiere alles und bleibe nicht gleichgültig – sondern ich versuche das Beste daraus zu machen. Ich unterstütze einen Menschen, der meine Hilfe braucht, fülle mein Werk mit Passion und Hingabe. Tue das, was ich tue, weil ich es tun will – nicht weil ich es tun muss. Ich akzeptiere, dass wenn ich eine Feige pflanze, daraus ein Feigenbaum entsteht. Egal, was ich tue, er wird nie Äpfel oder Birnen tragen. Es ist keine Frage der Energie, die ich einsetze. Ich kann es einfach nicht kontrollieren – es passiert, was will, und das ist auch gut so. Man muss an sich glauben, die Stimme, die einem behindert ausschalten und probieren, die wahre Liebe und Hingabe für den Moment zu entfalten. Wenn ich mit einem Menschen spreche, dann ist das das wichtigste, was im Moment ist! Ich gebe mich ihm hin. Multitasking war gestern – heute ist Singletasking in!

Ich akzeptiere, dass ein Grashalm nicht schneller wächst, wenn ich daran ziehe. Ich verstehe, dass wenn ich etwas pflanze, ich den Sämling nicht jeden Tag herausziehen kann, um zu sehen, wie weit er gewachsen ist. Damit zerstöre ich genau das Wachstum, das ich optimieren möchte. Ich bin nicht ein Gott, auch nicht ein Knecht. Sondern ich bin ein Mensch, umgeben von anderen Menschen. Ich brauche mich nicht unterzuordnen, aber auch nicht überzuordnen. Wenn ich vorangehe, dann mache ich das mit Liebe, Respekt und Geduld.

Ich werde nicht, sondern ich bin. Indem die Zeit aus unendlich kleinen Momenten der Gegenwart entsteht, verstehe ich, dass ich die Gegenwart beeinflussen muss, um die Geschichte zu schreiben. Wer bin ich? Eine unverzerrte Ansicht ist unabdingbar um zu verstehen, wer man ist und was man macht. Ich kenne meine Möglichkeiten, ich weiss, was ich gut kann und was weniger. Ich verstehe, dass die wahre Bereicherung die intensiven Beziehungen mit meinen Mitmenschen sind. Ich brauche nicht mehr an Masse, sondern ich brauche tiefere Freundschaften. Ich kann Liebe verschenken, ohne ärmer zu werden. Konsum gehört eher zum Konzept der Angst: Ich brauche einen gewissen Gegenstand um geliebt und akzeptiert zu werden. Ich brauche Ferien in der Ferne, um mir selber zu entfliehen. Und weil diese Art von Konsum nie Zufriedenheit bringt, versuchen die Menschen den Konsum zu erhöhen. Nach dem Motto: Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir die Anstrengungen.

Wenn wir viel mit dem Konzept der Liebe zu den Menschen und zu sich selber arbeiten, dann erreichen wir eine neue Stufe der Freiheit. Bei der Liebe zu sich selber ist nicht die Selbstverliebtheit, die Eitelkeit gemeint. Sondern das Vertrauen in sich selber, in die Instinkte. Wenn wir ohne Angst leben, dann sind wir nur schwer beeinflussbar. Wir sind frei, denn wir wissen, uns kann nichts passieren! Wir können verstehen, dass Angriffe nur ganz selten uns selber gelten; sie gelten nur unserem Abbild. Wenn wir das verstehen, dann können wir auch besser mit verbalen Attacken, Anschuldigungen und Vorwürfen umgehen. Jeder Mensch ist ein Multitalent und hochintelligent. Nur weil wir die Fähigkeiten und Interessen bewerten, entstehen „intelligente“ und „dumme“ Menschen. Sie sind nicht von Natur aus so – wir machen sie zu dem!

Wenn wir eine Arbeit tun, dann können wir in einen „Flow“-Zustand hereinkommen, wobei die Zeit ausgeblendet wird. Der Kampfsportler nennt diesen Zustand „Mushin“ oder „Mushin no shin“, ein offener Geist, der von Gefühlen und Gedanken befreit ist. So vertraut der Budoka eher seiner Intuition, als dass sich überlegt, was sein Gegner als nächstes tun könnte. Es ist wie routiniertes Fahrrad-fahren – ich muss auch nicht mehr denken, ob ich links oder rechts lenken muss, um das Gleichgewicht zu halten. Der Geist arbeitet in diesem „Flow“ sehr schnell, jedoch ohne bestimmte Ziele und Absichten. Wut und Ängste behindern den Budoka nicht, das „Ich-Gefühl“ verschwindet. Es ist ein Bewusstsein ohne Bewusstsein. Wichtig zu verstehen ist: Man muss als Budoka die Bewegungen zig tausend Mal gemacht haben, um diesen Geistes-Zustand zu erreichen. Uns so muss ich auch meine Werke routiniert machen können, um in den Flow zu kommen. Wahre Meisterschaft! Wenn ich das Konzept der Liebe oft übe, dann erreiche ich auch hier ein Bewusstsein ohne Bewusstsein. Wenn ich einen Raum betrete, so kann er sich mit positiver Energie füllen, die unsere Mitmenschen spüren.

Ein erfahrener Mensch hat ein offenes Herz, wenig Vorurteile dafür echtes Interesse. Er kennt die Essenz des Lebens: die Liebe und Hingabe. Und anerkennt, dass die Zeit vergänglich ist und dass Zeitverschwendung noch schlimmer als Geldverschwendung ist: Verlorene Zeit ist unwiederbringlich verloren!

Angst ist ein gutes Konzept – denn es ist eine nötige Bremse, die uns mit dem Privileg des freien Willens mitgegeben wurde. Ein Hund springt nicht in einen Abgrund. Er hat einen Reflex, einen Instinkt, aber keinen freien Willen. Wenn wir uns überlegen, ob wir in den Abgrund springen wollen, dann schützt uns die Angst vor Verletzungen. Und genau dieser Aspekt der Angst ermöglicht uns erst ein langes Leben! Stellen Sie sich vor, wenn wir ohne Angst über eine rote Ampel fahren würden… Hier macht die Angst Sinn! Die Angst und die Sorgen um unsere nicht-lebenswichtigen Probleme können wir jedoch getrost abschütteln und sie mit Liebe und Gelassenheit ersetzen. Durch guten Mut und einem gesunden Selbstvertrauen lassen wir uns nicht irre machen!

Wenn man segelt, dann kann man bildlich das Konzept der Angst und das Konzept der Liebe verstehen: Ich habe die Demut und den Repekt vor dem Wasser und weiss, dass ein Suppenlöffel Wasser in der Lunge tödlich ist. Somit sind die Quadratkilometer voller Wasser eine enorme Bedrohung für das Leben von meiner Crew und mir. Ich habe ein Boot, eine Crew, meine Kenntnisse, meine Erfahrung, meine Analysen. Den Mushin-Zustand erreiche ich hinter dem Steuer, wo ich nicht aktiv überlegen muss, was zu tun ist. Ich spüre den Wind, die Wellen, die Kräfte, mein Boot, meine Crew. Ich habe eine Orientierung, weiss aber genau, dass der Moment zählt und nicht die Geschichte oder die Zukunft. Die Liebe zum Leben und zu meiner Crew machen, dass die Reise und das Schiff untergeordnet sind. Ich weiss, dass ich niemandem etwas beweisen muss – und so verschwinden verschiedene Risiken. Ich steuere einen anderen Hafen an, als ich geplant habe, wenn es sein muss. Ich steige ohne mit den Wimpern zu zucken in die Rettungsinsel. Ich setze einen Notruf rechtzeitig ab. Wenn das hier und jetzt entscheidet, dann halte ich nicht den Kurs, den ich in der Vergangenheit gesetzt habe. Das wäre töricht und unklug, denn die Gegenwart wird nicht gnädiger zu mir sein, nur weil ich in der Vergangenheit eine andere Einschätzung gemacht habe. Ich akzeptiere das Konzept der „Sunk costs“, was ich gestern investiert habe, ist heute wertlos, denn es zählt die Gegenwart. Die Karten werden immer wieder neu gemischt. Sobald ich das Gefühl habe, eine Situation kontrollieren zu können, verengt sich mein Blick und ich mache den nächsten Fehler. Resilienz als die Fähigkeit, negative Gemütszustände möglichst schnell zu überwinden, runden die Fähigkeiten ab. Die Liebe und Hingabe zum Meer und zum Segeln machen also von selber, dass die Risiken kleiner werden und die Reise schöner wird!

Wenn wir also mit dem Konzept der Liebe arbeiten, uns und unseren Intuitionen vertrauen, die Kunst des klaren Denkens verstehen, so können wir die Angst überwinden und die Welt zu dem Ort machen, an dem wir selber leben wollen.

Wahre Meisterschaft

Wahre Meisterschaft beginnt mit der Art und Weise wie wir denken. Wenn wir positiv denken, ein gutes, nicht aufgesetztes Selbstbewusstsein haben, erfüllen wir den Raum mit positiver Energie. So sind Menschen gerne um uns herum, denn wir nehmen die Menschen an, wie sie sind, und lieben sie genau so, wie sie sind – und nicht wie sie sein müssten.

Wir Menschen haben, nach Kahnemann, zwei Denksysteme. Das System 1 läuft immer, es ist schnell und gibt uns für viele Situationen die richtigen Antworten. Es ist aber sehr anfällig für Fehler, Lügen, Propaganda und falsche Annahmen. Das System 2, das „Denken“, ist anstrengend und langsam. Wenn wir etwas lernen oder rechnen müssen, so kostet es viel Energie; das ist in System 2 einfach so. Beispiel: Was gibt 2 + 2? Es gibt 4, das Denksystem 1 hat es in Millisekunden ausgespuckt. Wir musste nicht „rechnen“. Was gibt 145 * 169? Das Denksystem 1 sagt: es gibt „viel“, das Denksystem 2 sagt irgendwann 24’505. System 2 ist also energieintensiv, langsam und man wird eher kritisch, wenn man es braucht. System 1 gibt Harmonie.

Und doch ist das System 1 sehr anfällig für Fehler. Folgender Aufgabe ist zu lösen: Wir haben einen Tennisschläger und einen Ball. Wir wissen, dass beide zusammen 1.10 kosten, und dass der Schläger genau 1 mehr kostet als der Ball. Wie teuer ist der Ball? Die Antwort, die das System 1 sofort liefert ist: 0.10. Rechnen wir also zusammen. Der Ball kostet 0.10, der Ball 1 mehr, also 1.10. Rechnen wir beides zusammen, kommen wir auf 1.20. Falsch! Der Ball muss 0.05 kosten, denn dann kostet der Schläger 1.05, mit dem Ball zusammen kommen wir also auf 1.10.

Die Aufgabe ist nicht schwierig, und doch ist sie der Beweis, dass uns das System 1 in die Irre führt. Erst wenn wir das System 2 „anlassen“, kommen wir auf den richtigen Punkt! Und noch nach Jahren spuckt mein System einfach 0.10 aus… es nervt mich, weil ich es doch wüsste. Doch hier ist die einfache Lösung: Wir können das System 1 nicht „korrigieren“, es reicht einfach zu wissen, dass es (sehr) fehleranfällig ist!

Schätzen Sie: Was gibt 1*2*3*4*5*6*7*8? Die meisten von uns haben des Gefühl, es wären so gegen die 200.
Schätzen Sie: Was gibt 8*7*6*5*4*3*2*1? Die meisten von uns haben das Gefühl, es wären so etwa 1’000. Richtig wäre in beiden Fällen 40’320!

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit dass bei 30 Leuten in einem Raum zwei Menschen am gleichen Tag Geburtstag feiern? 365 Tage hat das Jahr, die 30 können wir doch gut verteilen, oder? Die Wahrscheinlichkeit ist über 70%. Genau das nennen wir „Geburtstagsparadoxon“. Also wieder führt uns das System 1 in die Irre; Paradoxon nennen wir es, weil es uns intuitiv nicht weiter hilft. System 1 versucht aus ähnlichen Fragestellungen etwas abzuleiten, was aber oft danebengeht.

Wenn wir also Wissen erarbeiten wollen, und eine Meisterschaft erreichen möchten, dann müssen wir möglichst oft das Denksystem 1 hinterfragen, indem wir das System 2 „anlassen“ und – oft mühsam – die Dinge überprüfen, die uns vorgelegt werden.

Propaganda und Werbung zielen auf das System 1: Propaganda gibt uns die richtigen Feindbilder, Werbung führt zu Konsum. Wenn wir alle nicht manipulierbar wären, würde kein Konzern der Welt hunderte von Millionen für Werbung ausgeben! Wenn wir also das System 2 anlassen, dann erkennen wir zuerst einen Dickicht mit vielen Tatsachen, Widersprüchen, Lücken, Fallen usw. und trotzdem: Wir dürfen uns nicht blenden und abspeisen lassen! Ein Meister kann viele Dinge aufdecken und kann Gefühle von Tatsachen unterscheiden. So wird er weniger manipulierbar und lebt auch viel glücklicher, mit dem Wissen, nicht zu wissen und mit der Gewissheit, dass er in der Werbung angepriesenes nicht braucht.

So entsteht ein weiteres Paradoxon: Obwohl uns das Denksystem 2 anstrengt und kritisch macht, lohnt es sich, es zu gebrauchen. Denn es befreit uns, wenn wir erkennen, was wirklich ist und es befreit uns vor all den Stricken, die uns um den Hals gelegt werden, wenn wir nicht aufmerksam sind. Wahre Meister sind im Denken und Handeln unabhängig. Sie versuchen das Richtige zu tun. Sie können die Flughöhe wechseln, Argumentationsketten zu erstellen. Sie erstellen Thesen, Antithesen und Synthesen. Sie erkennen Motive, Interessen und Ängste. Sie erarbeiten das Wissen systematisch, bleiben aber wissbegierig und offen wie ein Kind. Sie legen die Vorurteile ab und schauen, was die Roh-Daten der Wirklichkeit bringen. Das bringt Klarheit – und etwas mehr Wahrheit, als wenn wir all das konsumieren, was uns einfach vorgesetzt wird.

Werden Sie zu einem „spectateur attentif“, einem aufmerksamen und kritischen Zuschauer der Welt, und machen Sie sich ein eigenes Bild der Dinge! Wahre Meisterschaft besteht nicht aus Wissens-Hülsen und dem Wiedergeben von vorgekautem, sondern auf guten Gedankengängen und Erfahrungen. Bleiben Sie aufmerkasam!

Entdecke die Welt mit den Augen eines Kindes

Der Mensch wird neugierig geboren; von Beruf „Lerner“ durchlaufen sie eine Kindheit, wo sie mit vielen Hürden fertig werden müssen. Viele Kinder würden als Erwachsene im Rollstuhl unterwegs sein, wenn sie mit Hindernissen umgehen würden, wir wir das oft im Erwachsenenalter tun. Kinder probieren Sachen immer und immer wieder – bis sie es können. Auch wenn sie sieben Mal fallen, sie stehen acht Mal auf! Wenn wir auf ein Hindernis stossen, so geben wir oft auf und suchen den Weg des geringsten Widerstandes. Wir beschäftigen uns mit etwas anderem und versuchen zu vergessen. Kinder sind wie Schwämme, sie saugen alles auf und versuchen eigene Strategien und Taktiken zu entwickeln, um Probleme lösen zu können.

Im Erwachsenen-Alter haben wir dann die Funktion des Schwamms immer noch: Wir saugen alles auf, was um uns herum läuft. Evolutionär waren Informationen sehr wichtig, um überleben zu können. Wir mussten beispielsweise wissen, wenn ein Mitmensch einen einen roten Pilz mit weissen Punkten gegessen hatte, und wie es ihm dann (er)ging, um selber daraus zu lernen, solche Pilze zu meiden. Die Evolution hat uns für unsere heutige Welt ein Werkzeug mitgegeben, das wir im Erwachsenenalter gezielt einsetzen müssen. Früher was der „Inflow“ der Informationen und Medien begrenzt – Informationen und Aufnahme-/Lernkapazität hielten sich die Waage. Heute komme ich mir so vor, wie wenn ich mit einem Schwamm unter den Niagara-Fällen stehe und erwarte, etwas sinnvolles aufsaugen zu können. „Medienkompetenz“ heisst das Stichwort.

Kinder können etwas aufschnappen, sich darin vertiefen und damit spielen. „Jetzt werd mal erwachsen!“ – hören wir heute. Wenn wir etwas spielen, gilt es als ineffizient und kindisch. Wir schlagen uns mit seelenlosen „Task-Listen“, „To-do-Listen“ und „Meilensteinen“ herum. Wenn es darum geht, etwas verstehen und begreifen zu wollen, dann reicht die Zeit nicht dafür. Die Welt mit den Augen eines Kindes zu entdecken kann zwar mühsam für die Umwelt sein, jedoch lohnt es sich trotzem. Als ich die schöne Omega meines Vaters auseinander genommen hatte, um das Uhrwerk zu begreifen und zu untersuchen, hatte ich nach ein paar Stunden einen Haufen von Schrauben und Teilen und ein leeres Gehäuse vor mir. Das Gesicht meines Vaters hätten Sie sehen müssen…! Und dennoch kann ich behaupten, dass ich einmal eine „Unruhe“ in der Hand hatte – und dass ein Uhrwerk verflixt kompliziert ist. Es zu Beherrschen ist eine Meisterschaft und verdient meinen Respekt!

Die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen heisst, vorbehaltlos neugierig und unvoreingenommen an etwas oder jemanden heranzutreten. Kinder kennen keinen Rassismus – der muss zuerst erlernt werden. Auch Hass gibt es nicht (ausser den Hass gegen Spinat oder Salat). Warum nur mutieren wir mit der Zeit zu übersättigten wandelnden Untoten? Warum bleiben wir nicht die Kinder, die wir waren?

Ich denke der Grund ist, dass wir genau eben den „Niagara-Effekt“ haben. So viel Inputs, so viele mögliche Tätigkeiten, Reiseziele, Partnerinnen, Arbeitsstellen… Wir werden frustriert. 2/3 der Menschen setzen sich das Ziel abzunehmen. Am Schluss bleibt von uns ein Sarg mit Inhalt oder 4kg Asche übrig. Kann das ein sinnvolles Ziel sein? Ich lese von Nahrungsersatz – interessanter Ansatz! Warum wollen wir die Nahrung ersetzen? Gibt es etwas besseres, als frisch gekochtes Essen – das sich 160’000 Jahre bewährt hat? Könnte es nicht am Schluss Werbung, Propaganda und Manipulation sein, um das Portemonnaie zu öffnen?

Wenn wir einen Charakter haben und kindlich und etwas naiv an etwas herantreten wollen, gibt es einen interessanten Weg: Wir sollten kritisch und neugierig bleiben, die Welt entdecken, glücklich sein hinterfragen. Wir sollten versuchen zu verstehen, zu begreifen und in die Tiefe zu gehen. Und doch nicht alles ernst zu nehmen, sondern versuchen das Wissen zu vernetzen. Die Realtität ist immer die gleiche – wir können selber entscheiden, wie wir damit umgehen!

Der Mensch ist eine Lernmaschine – wenn wir nur noch leblose, repetitive Tätigkeiten machen, dann verkümmern wir und spüren eine Leere in uns. Frustration. Dann lohnt es sich wieder, sich zu erinnern, wie es war, als wir die Welt mit unseren Kinderaugen sahen!

Wie man ein Meister wird – oder lohnt es sich ein Meister zu werden?

Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Wir können immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen. Wir hüpfen von Task zu Task, von Thema zu Thema, von Kanal zu Kanal, von Sportart zu Sportart und von Bett zu Bett. Speed-Dating, Fast-Food, Power-Nap, Management Summary, Abstract beherrschen unser Leben, wir füllen unser Leben mit immer mehr Tätigkeiten. Wir können es nicht mehr aushalten, wenn es zu langsam geht. So wie die Hühner in 33 Tagen unter Dauer-Beleuchtung zur Schlachtreife gelangen, versuchen wir in möglichst jungen Jahren möglichst viele Partnerinnen zu haben, möglichst viele Diplome zu ergattern. Es geht soweit, dass wenn wir uns mit einer Sache zu lange beschäftigen, wir das Gefühl haben, dass wir nicht weiterkommen. Menschen die unter Strom leben, machen es wie der Strom: Sie gehen den Weg des geringsten Widerstandes.

Doch fragt man die Menschen, was sie denn mit dem ganzen Gehabe erreichen möchten? Dann ist die Antwort klar – und konfus: Sie wollen Erfolg. Doch kann man wirklich erfolgreich sein, wenn man kein Meister seines Fachs ist? Wie messen wir Erfolg: An der „Total compensation“ (neudeutsch für Lohn), an der Menge der angeflogenen Feriendestinationen, an der Anzahl Likes oder Freunde auf Social Media, an der Anzahl Partnern, die wir genossen haben? Es bleibt konfus: Erfolg scheint jeder haben zu wollen, jedoch bleibt die Hülle oft leer, wenn man reinschaut. Irgendwie bleiben wir überall Amateure und das komische Gefühl kommt auf, dass wir doch etwas falsch machen oder verpassen. Wir springen von der einen Sache zur nächsten, verweilen nie lang und bleiben ein Leben lang Amateure. Im BWL hören wir vom Pareto-Prinzip: Wir investieren 80% der Kraft in Sachen die zu 20% wichtig sind. Wir interpretieren es so: Warum sollen wir eine Arbeit zu 100% fertig machen, wenn 80% doch auch reicht? Die restlichen 20% kosten doch nur viel Energie?

Ich interpretiere Pareto anders: Wir verbringen 80% des Tages mit Sachen, die uns nur 20% des Erfolgs bringen. 80% stehen also für Social Media, Newsletter, Spam, Werbung und nutzlose Sendungen. 20% wären vielleicht unser Körper, unsere Familie, unsere Freunde und die Meisterschaft. Transferzeiten sind Zeitverschwendung, darum machen wir Videokonferenzen, schreiben SMS anstatt mit jemandem eine Tasse Tee zu trinken. Wir essen Power-Bars anstatt eines Apfels, Energy-Drinks anstatt Wasser.

Was ist ein Meister?
Per Definition ist ein Meister ein Mensch, der 10’000 Stunden in seine Tätigkeit investiert hat; ein Grossmeister mehr als 20’000 Stunden. Ein Grossmeister beherrscht sein Fach so gut wie einer unter einer Million. Doch was sind die 10’000 Stunden? Auch hier ist wieder zu unterscheiden: Wenn ich als Kaufmann 10’000 Stunden in Mails beantworten, Weisungen lesen, Administration usw. investiere, dann werde ich kein Meister… vielleicht Meister im Tasks jonglieren. Wenn wir etwa 2’000 Stunden pro Jahr arbeiten, heisst das: Jeder, der seinen Job 5 Jahre lang ausübt, ist Meister. Würden Sie das unterschreiben? Ich nicht.

Ein Meister entwickelt sich so weiter: Er versucht die Grundsätze zu verstehen und baut darauf auf. Wenn er dann soweit ist, dann geht er wieder zur Basis zurück und baut weiter auf. Er verbringt einen grossen Teil der Zeit bei einem Thema und versucht, alle Facetten zu beleuchten um weiterzukommen. Er hat erst eine Lernphase, dann eine Festigungsphase und dann eine Anwendungsphase – danach kehrt er für einen anderen Aspekt wieder in die Lernphase zurück und der Prozess wiederholt sich. Er versteht viele Sachen von Grund auf, vernetzt diese und erhält ein Gesamtbild. Er hat ein tiefes Verständnis für das was er tut und kann die Konsequenzen im System immer besser voraussehen (=Intuition). Im Budo spricht man von Go-No-Sen: Wissen, was der Gegner macht, bevor er es selber weiss. Doch kann man eine Sportart wie Judo in einer Projektwoche wirklich tiefgreifend verstehen und anwenden? Kommen Sie auf die Matte und beweisen Sie es!

Ein Meister hat eine Sicht von oben. Er sieht den Wald, nicht nur die Bäume. Er weiss, wie die Zahnräder ineinander greifen, kann die Situationen lesen und interpretieren. Ein Meister bleibt immer neugierig und bescheiden: Denn die Neugier öffnet ihm Wege zu neuen Aspekten, die Bescheidenheit treibt ihn an. Oder haben Sie einen Guru gesehen, der ein wahrer Meister und kein Blender ist?

Wie kann ich ein Meister werden?
Es braucht nur zwei Dinge: Leidenschaft und Talent. Eine Meisterschaft braucht Zeit – viel Zeit. Man kann den langen Weg nicht gehen, wenn man keine Begeisterung hat. Leidenschaft ist das innere Feuer, das in uns brennt. Sie kennen sicher diese Art Wissen, die an Sie herangetragen wurde, und bei Ihnen nichts haften geblieben ist; wie bei einer Teflonpfanne. Anderen Sachen haben Sie so zugehört, als gäbe es keine Zeit. Kommen Sie bei einer Tätigkeit in einen Flow, wo Sie Zeit und Raum vergessen? Gratuliere: Hier könnte ein Thema sein, wo Sie eine Meisterschaft anstreben können. Dann braucht es auch Talent. So wie ich nie Synchronschwimmer oder Hebamme werden werde, so muss man auch Tätigkeiten aufgeben, wo man absolut kein Talent hat. Doch keine Angst: Echte Leidenschaft kann nicht entstehen, wenn wir kein Talent dafür haben. Robert Greene hat in seinem Buch eindrücklich beschrieben, dass wir uns bis 40 Jahre in Dinge verbeissen können, die uns nicht schmecken. Ab 40 dann kauen wir nur noch widerwillig auf der Sache herum; entweder wir entscheiden uns für ein Sich-Übergeben oder eine psychische oder psychosomatische Krankheit erreicht uns. Schade, wenn wir es erst so spät merken!

Die fünf entscheidenden Schritte zur Meisterschaft, etwas detaillierter
1. „Der Weg“: Es gibt keine Schleichwege! Wer Judo meisterhaft beherrschen möchte, wird monatelang an einer Technik feilen. Er wird die richtige Haltung lernen, wochenlang an seinem Griff arbeiten. Die Einstellung muss sein: Eine Kette mit 10’000 Gliedern muss Glied für Glied gleich sorgfältig verarbeitet sein. Egal wie gut der Rest der Kette ist: Sie reisst genau an dem Ort, wo sie am schwächsten ist. Wie stark der Rest der Kette ist, ist irrelevant. Es ist also ein langer, steiniger Weg. Intelligente und (zu) selbstbewusste Menschen möchten das Rad neu erfinden um dann nach Jahren zu merken, dass das viereckige Rad doch nicht so gut läuft wie das runde. Somit: Bescheidenheit und sich nicht als allzu schlau einstufen!
2. Einen Plan haben: Wenn wir einen Fussballmatch schauen, dann sehen wir wie die Spieler ihre Klasse zeigen, Zweikämpfe gewinnen und Tore schiessen. Die Realität ist jedoch anders: Konditionstraining, Standardsituationen bis zum Umfallen… sie können ihre Klasse erst dann zeigen, wenn sie die Basis begriffen haben. Aus welchen Teilgebieten besteht Ihr Fach? Machen Sie sich einen Plan und üben sie die Aspekte, verfeinern Sie diese und bringen sie weiter.
3. Vertrauen: Wir haben schon herausgefunden, dass es keine Schleichwege gibt. Vertrauen Sie darauf! Und vertrauen Sie darauf, dass wenn Sie üben, es Sie weiterbringt. Auch wenn Sie das Gefühl hast, meisterlich darin zu sein: Training ist unverzichtbar!
4. „Don’t give up“: Es ist wie eine Kurve der Aktienmärkte: Es geht nicht stetig gegen oben, manchmal geht es auch zurück oder man bleibt scheinbar stehen. Es gibt Schwankungen, aber die Tendenz zeigt gegen oben – das ist wichtig! Vertrauen Sie darauf, dass es so ist. Es gilt für alle!
5. Support / Mentorat / Lehrer: Wenn wir alles geben, dann können wir höchstens in der mittleren Liga spielen. Was wir brauchen: Wir brauchen Menschen, die uns inspirieren, die uns helfen weiterzukommen. Wir brauchen Lehrer, die uns anleiten und uns zeigen, auf was es ankommen. Die uns korrigieren, wenn wir auf dem Holzweg sind. Wir brauchen Support und Unterstützung, dass wir weiterkommen. Wir müssen uns diese suchen und holen. Doch keine Angst: Der nächste Meister ist meist nicht weit!

Zu guter letzt: Am Schluss kann man nur Meister seines Fachs werden, wenn man nicht Meister werden will. Es reicht, wenn wir mit Begeisterung, Leidenschaft, Neugier und Enthusiasmus an einer Sache arbeiten. Den Meistertitel verleihen uns andere – man bleibt immer sich selbst und hat jeden Tag wieder die Wahl der Wege: Mainstream, Mittelmass oder Meisterschaft. Die Meisterschaft ist der steinigste Weg – jedoch langfristig der befriedigendste. Denn er zeigt, was man mit der wertvollsten Ressource Zeit am sorgfältigsten umgeht. Vielleicht lehrt uns Pareto genau das: Sich für die Sachen einzusetzen, die nur scheinbar 20% des Wesentlichen ausmachen! Oder wir definieren das Wesentliche so um, dass es auch Sinn macht. The choice is yours!