Wie man ein Meister wird – oder lohnt es sich ein Meister zu werden?

Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Wir können immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen. Wir hüpfen von Task zu Task, von Thema zu Thema, von Kanal zu Kanal, von Sportart zu Sportart und von Bett zu Bett. Speed-Dating, Fast-Food, Power-Nap, Management Summary, Abstract beherrschen unser Leben, wir füllen unser Leben mit immer mehr Tätigkeiten. Wir können es nicht mehr aushalten, wenn es zu langsam geht. So wie die Hühner in 33 Tagen unter Dauer-Beleuchtung zur Schlachtreife gelangen, versuchen wir in möglichst jungen Jahren möglichst viele Partnerinnen zu haben, möglichst viele Diplome zu ergattern. Es geht soweit, dass wenn wir uns mit einer Sache zu lange beschäftigen, wir das Gefühl haben, dass wir nicht weiterkommen. Menschen die unter Strom leben, machen es wie der Strom: Sie gehen den Weg des geringsten Widerstandes.

Doch fragt man die Menschen, was sie denn mit dem ganzen Gehabe erreichen möchten? Dann ist die Antwort klar – und konfus: Sie wollen Erfolg. Doch kann man wirklich erfolgreich sein, wenn man kein Meister seines Fachs ist? Wie messen wir Erfolg: An der „Total compensation“ (neudeutsch für Lohn), an der Menge der angeflogenen Feriendestinationen, an der Anzahl Likes oder Freunde auf Social Media, an der Anzahl Partnern, die wir genossen haben? Es bleibt konfus: Erfolg scheint jeder haben zu wollen, jedoch bleibt die Hülle oft leer, wenn man reinschaut. Irgendwie bleiben wir überall Amateure und das komische Gefühl kommt auf, dass wir doch etwas falsch machen oder verpassen. Wir springen von der einen Sache zur nächsten, verweilen nie lang und bleiben ein Leben lang Amateure. Im BWL hören wir vom Pareto-Prinzip: Wir investieren 80% der Kraft in Sachen die zu 20% wichtig sind. Wir interpretieren es so: Warum sollen wir eine Arbeit zu 100% fertig machen, wenn 80% doch auch reicht? Die restlichen 20% kosten doch nur viel Energie?

Ich interpretiere Pareto anders: Wir verbringen 80% des Tages mit Sachen, die uns nur 20% des Erfolgs bringen. 80% stehen also für Social Media, Newsletter, Spam, Werbung und nutzlose Sendungen. 20% wären vielleicht unser Körper, unsere Familie, unsere Freunde und die Meisterschaft. Transferzeiten sind Zeitverschwendung, darum machen wir Videokonferenzen, schreiben SMS anstatt mit jemandem eine Tasse Tee zu trinken. Wir essen Power-Bars anstatt eines Apfels, Energy-Drinks anstatt Wasser.

Was ist ein Meister?
Per Definition ist ein Meister ein Mensch, der 10’000 Stunden in seine Tätigkeit investiert hat; ein Grossmeister mehr als 20’000 Stunden. Ein Grossmeister beherrscht sein Fach so gut wie einer unter einer Million. Doch was sind die 10’000 Stunden? Auch hier ist wieder zu unterscheiden: Wenn ich als Kaufmann 10’000 Stunden in Mails beantworten, Weisungen lesen, Administration usw. investiere, dann werde ich kein Meister… vielleicht Meister im Tasks jonglieren. Wenn wir etwa 2’000 Stunden pro Jahr arbeiten, heisst das: Jeder, der seinen Job 5 Jahre lang ausübt, ist Meister. Würden Sie das unterschreiben? Ich nicht.

Ein Meister entwickelt sich so weiter: Er versucht die Grundsätze zu verstehen und baut darauf auf. Wenn er dann soweit ist, dann geht er wieder zur Basis zurück und baut weiter auf. Er verbringt einen grossen Teil der Zeit bei einem Thema und versucht, alle Facetten zu beleuchten um weiterzukommen. Er hat erst eine Lernphase, dann eine Festigungsphase und dann eine Anwendungsphase – danach kehrt er für einen anderen Aspekt wieder in die Lernphase zurück und der Prozess wiederholt sich. Er versteht viele Sachen von Grund auf, vernetzt diese und erhält ein Gesamtbild. Er hat ein tiefes Verständnis für das was er tut und kann die Konsequenzen im System immer besser voraussehen (=Intuition). Im Budo spricht man von Go-No-Sen: Wissen, was der Gegner macht, bevor er es selber weiss. Doch kann man eine Sportart wie Judo in einer Projektwoche wirklich tiefgreifend verstehen und anwenden? Kommen Sie auf die Matte und beweisen Sie es!

Ein Meister hat eine Sicht von oben. Er sieht den Wald, nicht nur die Bäume. Er weiss, wie die Zahnräder ineinander greifen, kann die Situationen lesen und interpretieren. Ein Meister bleibt immer neugierig und bescheiden: Denn die Neugier öffnet ihm Wege zu neuen Aspekten, die Bescheidenheit treibt ihn an. Oder haben Sie einen Guru gesehen, der ein wahrer Meister und kein Blender ist?

Wie kann ich ein Meister werden?
Es braucht nur zwei Dinge: Leidenschaft und Talent. Eine Meisterschaft braucht Zeit – viel Zeit. Man kann den langen Weg nicht gehen, wenn man keine Begeisterung hat. Leidenschaft ist das innere Feuer, das in uns brennt. Sie kennen sicher diese Art Wissen, die an Sie herangetragen wurde, und bei Ihnen nichts haften geblieben ist; wie bei einer Teflonpfanne. Anderen Sachen haben Sie so zugehört, als gäbe es keine Zeit. Kommen Sie bei einer Tätigkeit in einen Flow, wo Sie Zeit und Raum vergessen? Gratuliere: Hier könnte ein Thema sein, wo Sie eine Meisterschaft anstreben können. Dann braucht es auch Talent. So wie ich nie Synchronschwimmer oder Hebamme werden werde, so muss man auch Tätigkeiten aufgeben, wo man absolut kein Talent hat. Doch keine Angst: Echte Leidenschaft kann nicht entstehen, wenn wir kein Talent dafür haben. Robert Greene hat in seinem Buch eindrücklich beschrieben, dass wir uns bis 40 Jahre in Dinge verbeissen können, die uns nicht schmecken. Ab 40 dann kauen wir nur noch widerwillig auf der Sache herum; entweder wir entscheiden uns für ein Sich-Übergeben oder eine psychische oder psychosomatische Krankheit erreicht uns. Schade, wenn wir es erst so spät merken!

Die fünf entscheidenden Schritte zur Meisterschaft, etwas detaillierter
1. „Der Weg“: Es gibt keine Schleichwege! Wer Judo meisterhaft beherrschen möchte, wird monatelang an einer Technik feilen. Er wird die richtige Haltung lernen, wochenlang an seinem Griff arbeiten. Die Einstellung muss sein: Eine Kette mit 10’000 Gliedern muss Glied für Glied gleich sorgfältig verarbeitet sein. Egal wie gut der Rest der Kette ist: Sie reisst genau an dem Ort, wo sie am schwächsten ist. Wie stark der Rest der Kette ist, ist irrelevant. Es ist also ein langer, steiniger Weg. Intelligente und (zu) selbstbewusste Menschen möchten das Rad neu erfinden um dann nach Jahren zu merken, dass das viereckige Rad doch nicht so gut läuft wie das runde. Somit: Bescheidenheit und sich nicht als allzu schlau einstufen!
2. Einen Plan haben: Wenn wir einen Fussballmatch schauen, dann sehen wir wie die Spieler ihre Klasse zeigen, Zweikämpfe gewinnen und Tore schiessen. Die Realität ist jedoch anders: Konditionstraining, Standardsituationen bis zum Umfallen… sie können ihre Klasse erst dann zeigen, wenn sie die Basis begriffen haben. Aus welchen Teilgebieten besteht Ihr Fach? Machen Sie sich einen Plan und üben sie die Aspekte, verfeinern Sie diese und bringen sie weiter.
3. Vertrauen: Wir haben schon herausgefunden, dass es keine Schleichwege gibt. Vertrauen Sie darauf! Und vertrauen Sie darauf, dass wenn Sie üben, es Sie weiterbringt. Auch wenn Sie das Gefühl hast, meisterlich darin zu sein: Training ist unverzichtbar!
4. „Don’t give up“: Es ist wie eine Kurve der Aktienmärkte: Es geht nicht stetig gegen oben, manchmal geht es auch zurück oder man bleibt scheinbar stehen. Es gibt Schwankungen, aber die Tendenz zeigt gegen oben – das ist wichtig! Vertrauen Sie darauf, dass es so ist. Es gilt für alle!
5. Support / Mentorat / Lehrer: Wenn wir alles geben, dann können wir höchstens in der mittleren Liga spielen. Was wir brauchen: Wir brauchen Menschen, die uns inspirieren, die uns helfen weiterzukommen. Wir brauchen Lehrer, die uns anleiten und uns zeigen, auf was es ankommen. Die uns korrigieren, wenn wir auf dem Holzweg sind. Wir brauchen Support und Unterstützung, dass wir weiterkommen. Wir müssen uns diese suchen und holen. Doch keine Angst: Der nächste Meister ist meist nicht weit!

Zu guter letzt: Am Schluss kann man nur Meister seines Fachs werden, wenn man nicht Meister werden will. Es reicht, wenn wir mit Begeisterung, Leidenschaft, Neugier und Enthusiasmus an einer Sache arbeiten. Den Meistertitel verleihen uns andere – man bleibt immer sich selbst und hat jeden Tag wieder die Wahl der Wege: Mainstream, Mittelmass oder Meisterschaft. Die Meisterschaft ist der steinigste Weg – jedoch langfristig der befriedigendste. Denn er zeigt, was man mit der wertvollsten Ressource Zeit am sorgfältigsten umgeht. Vielleicht lehrt uns Pareto genau das: Sich für die Sachen einzusetzen, die nur scheinbar 20% des Wesentlichen ausmachen! Oder wir definieren das Wesentliche so um, dass es auch Sinn macht. The choice is yours!

Ein Gedanke zu „Wie man ein Meister wird – oder lohnt es sich ein Meister zu werden?“

  1. Beim Lesen dieser Zeilen entstand ein Bild, eine Analogie… Ich stehe an Deck eines Schiffes. Dieses Schiff fährt mit vielen anderen Schiffen auf einer Meeresenge- die Strömung wird stärker, das Tempo nimmt zu. Dabei beobachte ich die anderen Schiffe. Welches ist grösser? Schöner? Schneller? Manche sind ganz nah und ich könnte einfach rüberspringen und schneller weiterkommen, mehr verdienen. Die anderen würden mich bewundern. Doch ist es das richtige Schiff? Oder kommt weiter hinten ein langsameres, „schäbigeres“, das mir mehr Möglichkeiten bietet mich vielfältig weiterzuentwickeln? Was bietet mir mein jetziges Schiff? Bin ich da bereits Meister? Oder sogar Vorbild? Denn aus meiner Sicht ist gerade diese Rolle sehr lehrreich. Andere zu unterstützen, zu mentorieren deckt die eigenen Schwächen, Defizite aber auch Stärken auf, die weiterentwickelt werden können, sofern das Bewusstsein dafür da ist. Und so bleibe ich vielleicht nur auf einem Schiff und versuche Meister zu werden. Und wenn ich dann wirklich der Meinung bin Meister zu sein, dann heure ich auf dem nächsten Schiff an, auch wenn schon tausende vorbeigezogen sind. So wie dies der Schriftsteller Gerhart Hauptmann einmal beschrieben hat „Sobald jemand in einer Sache Meister geworden ist, sollte er in einer neuen Sache Schüler werden“

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