Die Philosophie – Fitness für das Gehirn und den Geist!

Ich sehe viele Menschen, die Ihren Körper im Fitnessstudio stählen, ihre „Pumpe“ antreiben und versuchen, mehr Muskelfasern zu züchten und Fett zu verlieren. Und das ist auch gut so, denn der Mensch hat heute viel zu wenig Bewegung; der Fitnessraum kann helfen, den Kreislauf wieder in Gang zu bringen. Beim Körper ist es eine zum grossen Teil visuelle Sache: Ich sehe meinen Körper und gehe ihn dann ins Fitnesstudio optimieren. Doch wie ist es mit meinem Geist?

Unser Gehirn

Wir werden mit einem plastischen Gehirn geboren und bilden bis zum letzen Tag unseres Lebens neue Synapsen. Während der Körper ab ca. 20 Jahren verfällt, bleibt unser Gehirn sehr jung, wissbegierig, formbar und erneuerbar. Doch leider steckt unser Gehirn in unserem Schädel und wir sehen nicht auf einen Blick wie bei unserem Körper, ob er einem Ideal nahe kommt oder doch noch viel Potential in ihm steckt.

Die Philosophie – DAS Fitnesstudio!

Der Verdacht liegt nahe, dass in einer sich immer schneller drehenden Welt, wo alles immer mehr zerstückelt wird, unser Gehirn nicht in einem optimalen Zustand ist. Wenn wir davon ausgehen, dass wir geboren wurden – dann leben – und dann irgendwann alle sterben: Wie wichtig ist dann Black Friday, Cyber Monday, Sigles Day? Ich denke, dass Prozesse immer schneller werden, die Prozessionen jedoch bleiben langsam. Ich meine nicht die Prozession im religiösen Sinne, ich meine die Kunst des klaren Denkens. Die Fähigkeit, Fragmente zu einem Bild zusammenzusetzen, zu hinterfragen, zu besprechen, sich eine Meinung zu bilden und danach zu handeln. Ein langsamer, mühsamer, konfliktreicher, unharmonischer Weg, um dann eine Erkenntnis zu gewinnen, Werte zu schaffen und danach zu leben. Doch was ist der Unterschied zum Fitnessstudio? Auch hier schwitzen die Leute und machen ihre Übungen mit teils schmerzverzerrten Gesichtern – soll mir niemand erzählen, dass sie sich wohler fühlen, als wenn Sie zuhause auf der Couch zu liegen, oder? Und doch sieht man wenige Leute, die sich auch mit ihrem Geist so beschäftigen, ihn „challengen“, neue Übungen machen, wiederholen, Erkenntnisse gewinnen und danach ein „stählernes Gehirn“, einen „klaren Geist“ und ein „gutes Herz“ haben.

Zum neuen Jahr

Vielleicht ist das Fitnessabo nach der Zeit der Kalorien-Schlacht eine gute Antwort. Aber vielleicht ist es noch wichtiger, den Geist in Schuss zu halten und in die Welt der Philosophie abzutauchen und sich Gedanken über Physik, Ethik, Logik und so weiter
zu machen. Vielleicht lohnt es sich, sich auf den Weg zu machen um „Ataraxie“, die Eigenschaft nicht mehr durchgeschüttelt werden zu können, zu erlernen (Stoiker), bei den Epikuräern die Kunst des Genusses (nicht des „Konsums“ im heutigen Sinn) zu erlernen. Vielleicht hat Platons Höhlengleichnis mehr mit uns zu tun, als wir glauben. Vielleicht helfen Platons Gespräche mit Sokrates, um den Geist zu erweitern. Was ist mit Marc Aurel und Seneca? Was ist mit Kant?

Philosophie ist nicht veraltet!

Philosophie ist weder veraltet noch langweilig. Sie hilft uns, die Welt zu begreifen, Gegebenheiten einzuordnen, das Glück zu finden (Hinweis: Es ist bereits in uns!), ruhiger zu werden, präziser zu formulieren und Sachen in einen grossen Zusammenhang zu stellen. Philosophie macht uns menschlicher und empathischer – jeder denkende Mensch ist ein Geschenk für seine Umwelt. Es bleibt ein Herzenswunsch. Zur Philosophie kommt man in drei Schritten: 1. Die Einstellung dazu ändern, 2. Single-Tasking-Modus wieder erlernen (nur eine Sache machen, dafür länger dranbleiben wie z.B. mit Büchern, Vorträgen usw.) und 3. Ein Buch kaufen und den Einstieg finden. Nur um etwas vorzugreifen: Ist es nicht erstaunlich, dass der Buddhismus und die Stoiker zum Thema Glück fast die gleichen Rezepte empfehlen – dabei gab es keinen Austausch der Kulturen und die Ideen sind schon über 2’000 Jahre alt! Da machten sich 20’000km voneinander entfernt die gescheitesten Leute ihrer Zeit Gedanken und kamen auf die gleichen Erkenntnisse. Sollte man dem Beachtung schenken oder ist das alle Humbug? Urteilt selber!

Ein kleines Konzept für auf den Weg

Aus einem Vortrag von Dieter Lange möchte ich Euch ein Konzept vorstellen, welches mich bis heute begleitet. Es geht um die sechs Stufen des Menschen, die er erreichen kann.

  1. Bedürfnis nach Sicherheit: Jeder Mensch sehnt sich nach Sicherheit. Ein Dach über dem Kopf, eine Heizung, etwas zu Essen, Nächstenliebe. Zum Glück ist das in unserer Welt einfach so „gegeben“.
  2. Bedürfnis nach Unsicherheit: Die Welt würde langweilig, wenn wir uns nur in den guten Tagen bewegen würden. Schon Johann Wolfgang von Goethe meinte: „Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen!“. So sehnen wir uns also nach „kontrollierter“ Unsicherheiten in Skifahren, im Europapark, im Aquapark, beim Trampolinspringen, Fliegen, Fallschirmspringen, Gokart-Fahren. Alles das würden wir nicht tun, wenn unser Bedürfnis nach Sicherheit grösser wäre.
  3. Bedürfnis nach Signifikanz: Wir wollen anders, besser sein als die andren. Darum kaufen wir uns mit Geld, was wir nicht haben, Sachen, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Und hier entfaltet der Kommerz-Gedanke seine volle Wirkung: Wir sehen uns nach mehr, um dem Schein des Glücks näher zu kommen. Noch eine Handtasche, ein schnelles Auto. Es geht darum, wichtig zu sein! Wobei etymologisch das Wort „wichtig“ vom Wort „Wicht“ abstammt…

Bei diesen ersten drei Stufen lautet das Mantra „Mehr ist besser“ (cartesianisches Gesetz). Der Treiber dieses Ego-Trips ist Angst. Angst, keine Sicherheit zu haben. Angst, ein langweiliges Leben zu haben. Angst, nichts zu zählen. Um die nächsten Stufen zu erreichen, braucht es eine Transformation, wobei man die Taktik ändern muss. Denn was uns geholfen hat, die ersten drei Stufen zu erklimmen, hilft uns nicht weiter. Ähnlich einem guten Wanderer, der die Meeresküste erreicht: um weiterzukommen braucht es nicht bessere Schuhe, sondern ein Schiff! Goethe meint dazu: Solange eine Reise nach aussen nicht auch eine Reise nach innen wird, ist der Durst nie gestillt!

  1. Inneres Wachstum: Sobald Du begriffen hast, dass es in Dir weiter gehen muss, um eine weitere Stufe zu erreichen, arbeitest Du an Dir selber. Die Philosophie ist der Schlüssel dazu! Und wenn Du viele Erkenntnisse gemacht hast und Dir bewusst wirst, um was es geht, dann erreichst Du die nächste Stufe.
  2. Tribut zollen: Hier kommt die Erkenntnis, das Geben seliger ist nehmen. Was nützt es mir, wenn ich die Welt gewinne, doch meine Seele schaden nimmt? Hier erkenne ich, dass das Glück im Geben, im Teilen liegt.
  3. Mensch sein: Das ist die letzte Stufe, die ich erreichen kann. Wenn ich Mensch bin, weis ich warum ich in welcher Funktion arbeite. Die Antwort nach der Frage warum Du in welchem Beruf arbeitest, müsste von hier kommen! Auf dieser Stufe erkennt man, dass der Weg das Ziel ist. Der Weg ist wichtig – nicht das Ziel! Und wenn wir in unserer Aufgabe aufgehen, in einen Flow kommen, dann haben wir richtig gewählt. Die Freude liegt im Tun – denn niemand fährt Ski, um wieder am Lift anstehen zu müssen.

Bei den letzten Drei Stufen ist nicht Angst der Treiber, sondern Liebe. Es ist kein Ego-Trip mehr sondern eine Selbstverwirklichung Die Dominanz des Egos muss zuerst zurücktreten, damit Du überhaupt sein kannst! Es geht nicht um Haben oder Tun – es geht um Sein! Es geht (wieder) um Mensch-Sein!

„Gnothi Seautón“ – „Erkenne dich selbst“

Steht auf dem Tempel des Apollon in Delphi. Und dazu ein Imperativ: „und werde, der Du bist!“. Es geht also darum, und hier hilft die Philosophie, sich selbst zu erkennen und dann zu dem zu werden, was man ist. Man kann einen Feigenbaum nicht dazu zwingen, Äpfel zu tragen. Man muss genau wissen, nach was man strebt. Man muss jeden Tag eine bessere Version von sich selber werden. Man muss sich selber lieben und schätzen, mit all seinen Fehlern, und darauf seine Persönlichkeit aufbauen. Es geht nicht um Dich als Person, den Persona heisst übersetzt „Maske“. Es geht um Dein wirkliches „Ich“. Sich selbst erkennen und dann zu sich selbst werden – eine ungeheuerliche Aufgabe in einer Zeit der nur guten Selbstdarstellung in den Sozialen Medien!

Ziele vs. Weg

Ich habe nichts gegen Ziele, denn sie setzen eine Handlung in Gang. Aber die Freude entsteht auf dem Weg, und nicht im Erreichen des Ziels. Wenn ich eine Woche segeln gehe, dann ist mein Ziel meist der Ausgangshafen. Wie würde meine Crew reagieren, wenn ich ihr mitteilen würde, dass wir schon – bevor wir aufs Schiff steigen – unser Ziel erreicht haben? Würden wir im Hafen bleiben – oder liegt der Sinn und die Freude auf dem Weg, begleitet von Delphinen, Stürmen, Schlafmangel, Seekrankheit, Sonnenbränden, blauen Flecken usw.? Warum jagen wir immer den Zielen hinterher, als uns auf den Weg zu konzentrieren? Leben ist dort, wo Du noch nie warst. Alles andere ist Wiederholung! Nur Tote haben ein stabiles und unveränderbares Umfeld – was lebt, hat mit Überraschungen zu tun! Mit Fehlern mit Tränen – mit Erkenntnissen, wobei wir stärker werden. Wenn ich die Ziele in meinem Leben als Kapitel ansehe: Wie heisst der Titel meines Buches? Worum sollte es in meinem Leben eigentlich gehen?

Die Odyssee

Ein wunderbares Buch von Homer! Odysseus gewinnt den Trojanischen Krieg und macht sich auf den Weg nach Ithaka. Wäre er auf dem direkten Weg dorthin gesegelt, dann hätte es sicher kein Buch darüber gegeben. Konstantin Kavafis bringt es in seinem wunderbaren Gedicht „Ithaka“ auf den Punkt:

Wenn du zu Fahrt aufbrichst nach Ithaka.
So bete, dass ein weiter Weg es werde.
Voller Umschwünge, voller Einsichten.
Die Laistrygonen oder die Kyklopen,
Den zornigen Poseidon fürchte nicht,
Dergleichen triffst du nie auf deinem Weg,
solang dein Denken hoch bleibt und erlesene
Erregung dir an Geist und Körper rührt.
Den Laistrygonen oder den Kyklopen,
Dem wütigen Poseidon wirst du nicht begegnen,
Wenn deine Seele nicht vor dich stellt.

So bete, dass ein weiter Weg es werde.
Mögen der Sommermorgen viele sein,
Wo du – oh wie mit Dank, oh wie mit Freude!
Einfährst in Häfen, die du siehst zum ersten Mal.
Mögest du halten an den Handelsplätzen
Phönikiens und die schöne Ware kaufen:
Perlmutter und Korallen, Ebenholz und Amber
Und jeder Art erregende Duftflüssigkeit.
Mögest du gehen in viele Städte nach Ägyptenland,
Damit du lernst – und lernst von Eingeweihten.

Behalte stets Ithaka in deinem Geist.
Die Ankunft dort ist deine Vorbestimmung.
Doch haste mit der Reise nimmermehr.
Besser, sie daure vieler Jahre Lauf,
Und auf der Insel ankerst du als Greis,
An allem reich, was auf dem Wege du erwarbst,
Niemals erwartend, dass dir Reichtum schenkte Ithaka.
Ithaka schenkt dir die schöne Reise.
Zu ihm allein bist du hinausgefahren.
Verlange andre Gaben nicht von ihm.

Findest du’s arm, Ithaka trog dich nicht,
So weise, wie du wurdest, so erfahren,
Erkanntest du nun wohl, was Inseln Ithaka bedeuten.

Erfolg: eine Definition

Der Sinn und Zweck jedes Erfolges ist daran selbst zu wachsen und den Menschen etwas zu geben (Stufen 5 & 6). Es geht darum, an seinen Aufgaben zu Wachsen und einen Beitrag in eine Welt zu geben, in der wir leben. Ich wünsche Euch in diesem Sinne ein erfolgreiches 2019 und viele spannende Momente auf Eurem Wege!

Ein Gedanke zu „Die Philosophie – Fitness für das Gehirn und den Geist!“

  1. Ich trage den gleichen „Hunger“ nach Erkenntnissen in mir. Immer im Vergleich mit mir selber.
    Ich möchte heute besser sein als ich gestern war.
    Wir verstehen uns!

    Herzlichen Dank für diesen Eintrag!

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