Wu wei – annehmen, es geschehen lassen

Wir bewegen uns in einer kontrollierten Welt und haben das Gefühl, dass wir alles kontrollieren können. Es scheint uns wie ein Wettbewerb; entweder ich kontrolliere es, oder es kontrolliert mich.

Viele Menschen leben ziemlich unbewusst in den Tag hinein, lassen sich treiben. Ohne mit der Wimper zu zucken werden sie alt, und sie wissen gar nicht, was geschehen ist. Andere machen das Gegenteil: Sie versuchen zu steuern und zu kontrollieren, zu beherrschen, zu meistern. Sie leben ein Leben nach dem Motto, wer nicht kontrolliert, wird wie ein Käfer zerteten. Entweder ich kontrolliere, oder ich verliere.

Beide Arten haben Vorteile, denn der sich-treiben-lassende hat wenige Sorgen, der Kontrollierende kann das Spiel bestimmen. Vielleicht gibt es eine intelligente Art, wie man damit umgehen kann.

Reflektiertheit – Aufmerksamkeit – Achtsamkeit
Was ist, wenn ich aufmerksam die Dinge geschehen lasse, mich nicht einmische, wenn es nicht nötig ist, nicht die Kontrolle übernehme? Als reflektierter Mensch habe ich Vertrauen, dass ich nicht überall Einfluss nehmen muss. Wenn ich aufmerksam meine Umgebung beobachte, meine eigenen Möglichkeiten und Ressourcen kenne, und mich am Schluss frage: Braucht es meinen Einfluss? So kann ich vieles erreichen. Ich soll achtsam sein. Mit mir selbst, mit meinem Nächsten, mit der Welt um mich herum. Dann weiss ich, wann ich mich einsetzen muss, und wann es mich nicht „braucht“.

Es gibt keine guten oder schlechten Nachrichten – nur Nachrichten
Wir leben in einer Welt, wo wir alles und jedes ständig bewerten wollen. Natürlich ist es wichtig, es zu tun. Wenn wir einen Pilz sehen, und uns fragen, ob wir ihn essen sollten, so bewerten und entscheiden wir. Wenn etwas um uns herum geschieht, dann bewerten wir immer und andauernd. Wir wägen ab, machen uns ein Bild, vervollständigen das Bild mit unserer Fantasie und bewerten. Was, wenn wir Nachrichten entgegennehmen, und nicht einfach bewerten? Vielleicht müssen wir uns zuerst überlegen, was wir bewerten, wie wir bewerten. Vielleicht müssen wir einsehen, dass unsere Bewertung nicht allgemein gültig ist und verzerrt ist. Vielleicht haben Nachrichten keine emotionale Komponente, sondern wollen nur informieren. Hier liegt das Geheimnis! Als reflektierte Menschen nehmen wir Sachen entgegen, und bewerten sie entweder gar nicht, sondern erst später. Vielleicht suchen wir lieber nach Lösungen, statt nach Fragen. Vielleicht lassen wir den Verstand in Ruhe entscheiden.

Schnelle Entscheidungen
Wir leben in einer Welt, wo wir immer mehr und auf mehreren Kanälen erreichbar sind. Wir können immer angerufen werden, wenn wir eine Meinung geben müssen, einen Befehl oder Wunsch entgegennehmen sollen. Wir müssen immerzu entscheiden. Unsere Entscheide werden schneller, denn wir sind im Multitasking-Modus. Die Menge der Entscheidungen steigt an – doch werden sie wirklich auch qualitativ besser? Wie oft sagen wir: Das muss ich mir überlegen, ich rufe Dich zurück? Wie oft machen wir eine Denkpause, wägen ab? Wie oft sind wir reflektiert? Ich habe das Gefühl: In der Tendenz weniger. Die Flut wird grösser und breiter, und wir haben das Gefühl, wir können dem Herr werden, in dem auch wir die Kadenz erhöhen. Schneller entscheiden, mehr entscheiden. Weniger Schlafen und mehr Gas geben. Jedoch nimmt die Qualität ab. Die Qualität der Beziehungen, die Qualität der Entscheidungen, und leider insgesammt die Qualität des Lebens. Wir werden gezwungen, uns schneller auf etwas einzustellen, und mehr „Gas“ zu geben. Wohin? Wollen wir denn schneller ins Grab?

Das Leben als One-Way-Ticket
Wenn wir unser Leben als One-Way-Ticket anschauen, dann ist Zeitverschwendung die grösste Sünde. So sollten wir achtsam sein, und unsere Zeit gut einteilen. Wir sollten an der Qualität arbeiten, nicht an der Menge. Wir sollten vielleicht nicht so viele Facebook-Freunde haben, aber ein paar richtige Freunde. Wir sollten weniger Dinge tun, dafür diese besser.

Das Leben als Optimierungsprozess
Wir machen Dinge in unserem Leben, und wiederholen sie immer wieder. Wir gehen ins Training, zur Arbeit, sind mit Freunden unterwegs. Wie oft sind wir aber im „Autopilot“-Modus unterwegs? Wie oft haben wir uns Mühe gegeben, etwas noch besser zu tun? Wie oft haben wir Leidenschaft in unser Tun gebracht, oder versucht, unsere Leidenschaft weiterzugeben? Wir sollten versuchen, unser Leben zu optimieren, immer wieder zu lernen und zu verbessern.

Gelassenheit
Verbissenheit, Zielblindheit und Verkrampfung führen zwar oft zum Ziel, der Preis ist jedoch hoch. Ich muss viel Kraft investieren, über Leichen gehen oder brenne die Kerze meines Seins schnell herunter. Anstatt dies zu tun, kann ich versuchen, an meiner Gelassenheit zu arbeiten. Wenn die Kraftentwicklung die Differenz zwischen völliger Gelassenheit und völliger Angespanntheit ist, dann trainieren die meisten Menschen die maximale Angespanntheit, zum Beispiel im Fitnessstudio. Das Geheimnis der Lockerheit (körperlich) und Gelassenheit (geistig) ist, dass ich eines lernen muss: Loslassen. Loslassen von meinen Problemen, Loslassen von meinem Willen, alles zu kontrollieren. Wenn ich auf der Matte locker bin, dann spüre ich den Gegner, und kann ihn besser schlagen. Wenn ich gelassen bin, so kann mir nichts passieren. Ich bin offen für alles, bewerte nichts. Aber ich kann im richtigen Moment zuschlagen und einhängen – bin voll da. Meine Ressourcen sind voll, denn ich habe keine verschwendet.

Öffnen
Viele Menschen sind geistig geschlossen, sie können nichts annehmen, da sie immerzu am Senden sind, oder mit sich selbst beschäftigt sind. Wenn sich die Menschen öffnen, so können sie mit der Umgebung interagieren, sie können annehmen, sie können lernen. Geschlossene Systeme sind nicht lernfähig.

Da abholen, wo man ist – und nicht da, wo man gerne sein würde
Damit man eine gute Gelassenheit an den Tag bringen kann, lohnt es sich, sich selber da abzuholen, wo man ist – und nicht da, wo man gerne sein würde. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich ein guter Judoka bin, und ich nichts mehr lernen kann, dann werde ich wirklich nichts mehr lernen. Ich werde mir immer wieder einreden, dass der Lehrer falsch ist, oder ich einen guten Grund habe, es anders zu machen. Mit der Zeit werde ich irgendwie unausstehlich, und kann nichts mehr lernen. Ich bin – und kann nicht mehr werden. Am Besten ist es, wenn man sich bewusst wird, dass man in fast allen Kategorien keine Ahnung hat. Oder wie steht es mit Ihren Kenntnissen in frühfranzösischer Philosophie, der Quantenphysik, Ihrem Wortschatz in Suaheli und des Talents, ein Känguruh-Steak zu machen? Stimmen Sie zu, dass Sie von fast nichts eine Ahnung haben, auch wenn Sie das Gefühl haben, Universalgelehrter zu sein. Es ist eine Illusion – das Wissen auf dieser Erde ist so gross und wächst rasant, dass unser Anteil daran jeden Tag kleiner wird, obwohl wir lernen. Also müssen wir offen sein und Lernen, aber auch schlicht und einfach oft zugeben, dass wir absolut keine Ahnung haben. Das ist kein Problem an sich, es ist einfach die Realität. Wenn wir das akzeptierten, dann können wir ganz locker damit umgehen – denn es gilt für alle! Wenn man also eine Einschätzung von sich selber macht, dann sollte sie nicht zu gut sein. Und so können wir realistisch unsere Kräfte einsetzen, dort wo es nötig ist.

Nichts einreden, nichts ausreden, einfach da sein!
Wenn uns ein Mensch angeht, dann wollen wir sofort bewerten. Als nächstes überlegen wir, wie wir das Problem lösen würden und fangen an, den Leuten etwas einzureden oder auszureden. Wie oft haben wir gesagt: Ich bin für Dich da! Ich höre Dir zu! Ich habe Dich gern! Wir finden, dass dieser Weg zu ineffizient ist. Denn wenn uns doch jemand etwas fragt, müssen wir eine Lösung bringen oder? Nur selten ist das der Fall. Die meisten Menschen sollten ihre Probleme selber lösen. Unsere Aufgabe als Zuhörer ist, zuzuhören und nachzufragen. Die Waffe und die Lösung vieler Probleme ist das Nachfragen. Nachfragen hilft, das Problem zu verstehen, und hilft dem Problemhalter, den Nebel zu lüften und selber eine Lösung zu finden, wenn es denn überhaupt um eine Lösung geht! Oft geht es einem darum, Schutz zu suchen und zu finden. Hier hilft einfach da sein. Einreden und Ausreden sind Gift.

Keine ungefragten Ratschäge
Wir sind oft im Modus, den anderen Ratschlägen zu geben. Doch Ratschläge sind auch Schläge – vor allem wenn sie ungefragt sind. Wenn wir Ratschläge geben, dann liegt unser eigenes Wertesystem zugrunde. Unser Weltbild. Unsere Erfahrungen und Meinungen. Nur selten sind sie auf unser Gegenüber übertragbar. Warum sparen wir nicht ein wenig? Ungefragte Ratschläge sind Sand im System – wir können das verhindern und unsere Meinung dann kundtun, wann sie gefragt ist.

Spiel ein Spiel
Was am Meisten befreit, ist wenn man das Leben als Spiel betrachtet, in dem alle Spieler ein One-Way-Ticket und ein Leben haben. Dann können wir es nämlich viel leichter nehmen, haben mehr Mitgefühl und können uns selber helfen, in dem wir anderen helfen und für andere da sind. Nur wenige von uns können wirklich die Welt verbessern, die Welt wirklich verändern. Aber das soll nicht davon abhalten zu versuchen, die unmittelbare Umgebung zu verbessern und positiv zu beeinflussen. Wichtig zu wissen ist es – Ying und Yang – wann wir Einfluss nehmen sollen, und wann es besser ist nichts zu tun. Oft wollen wir zu viel, zeigt die Erfahrung.

Eine Geschichte zum Schluss
Es gibt einen Strand, wo jeweils zu einem Zeitpunkt tausende lebendige Fische angeschwemmt werden, und dann am Strand verenden. Irgendwo befindet sich eine alte Frau, die mit einer Schaufel die Fische ins Meer zurückschaufelt, und sie so vor dem sicheren Tod bewahrt. Es kommt ein Tourist vorbei und fragt die Frau, was sie denn da tue. Angesichts der tausenden von Fischen und dem kilometerlangen Strand spiele es doch keiner Rolle, sagt er, ob sie nun Schaufle oder nicht. Die Frau blickt auf und sagt: „Doch, für diese Fische auf meiner Schaufel spielt es eine Rolle“. Wir können die Welt nicht verbessern, doch auf den paar Quadratmetern um uns herum, können wir wirken – und sollen wirken! Für die Menschen um uns herum spielt es eine Rolle.

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