Schon hier fängt das Problem an – im Sprachlichen: Es scheint, dass es bei dieser Disziplien um „Ziehen“ geht. Man kann eine Pflanze ziehen: Man kann Zweige abschneiden und Dornen lösen. Doch ist das auch die richtige Methode bei einem jungen Menschen? Kann man hier auch ganz einfach die Äste abschneiden, die einem nicht passen? Ist ein Kind ein Rohdiamant, den es zu schleifen gilt?
All diese Gedanken kommen aus einem Bild, dass mein Kind grundsätzlich mein Besitz ist, und ich die künstlerische Freiheit – ja sogar Pflicht – habe, es nach meinem Gusto zu gestalten. Doch hier kommt der Denkfehler: Die Kinder kommen mit einem Grosshirn zur Welt, mit einem eigenen „Ich“, und sind nicht USB-Sticks, die unprogrammiert daher kommen.
„Pädagogik“, aus dem Griechischen, gefällt mir besser. Hier beschäftigt man sich mit dem Kind, hier ist man mit dem Kind „auf einer Ebene“. Ich will nicht sagen, dass wir antiautoritär erziehen müssen. Das Kind soll und muss die Grenzen spüren und einschätzen können. Aber eben, das Kind ist kein Soldat, dass nur „Verständnisfragen“ haben kann, wenn wir einen Befehl ausgeben.
Wenn wir uns mit dem Kind beschäftigen, dann „leben wir vor“. Das Kind hat im Gehirn Spiegelneuronen, die kopieren. Sie kopieren vielleicht die gute Seite, leider noch viel mehr die schlechten Seiten. Darf ich ein Kind schlagen, weil es geschlagen hat? Es macht ja nichts anders, als die eigenen Werte zu kopieren: Man darf schlagen, wenn man überfordert ist.
Bevor wir in die Pädagogik gehen können, müssen wir bei uns selber anfangen. Wir dürfen – und sollten dringend – an uns selber schleifen. Das ist ein lebenslanger Prozess. Wenn wir also selber ausrasten oder zum Ausflippen tendieren, dann sollten wir zuerstmal wieder die innere Ruhe finden, die Gelassenheit, die Überlegenheit über uns selber. Wenn wir das schaffen, dann strahlen wir nicht nur Autorität aus, sondern sind selber Autorität. Dann müssen wir nicht drohen und erpressen – sonst sagen wir ja, dass es valable Mittel sind – sondern können wünschen und diskutieren. Nicht immer – aber immer öfter. Ist das Kind müde und bockig, und wir auch, dann müssen wir die Sterne auf unserer Uniform zeigen und befehlen – doch das sollte sehr sparsam eingesetzt werden.
Wie wir unsere Kinder erziehen – bzw. so wie wir unseren Kindern vorleben, zeigt viel über unsere Werte und unseren Charakter. Wir dürfen Schwächen haben und sie zeigen. Vielleicht müssen wir uns einfach mal zurückziehen, damit wir eben nicht ausflippen.
Auf jeden Fall eben müssen wir uns mit unseren Kindern beschäftigen, in ihre wunderschöne Welt eintauchen und ihnen vielleicht ein paar Aspekte einbringen. Man kann sie begeistern, sie zum Denken und zum Lachen bringen. Man kann ihnen die Wahrheit wie einen warmen Morgenmantel hinhalten, damit sie wohlig einsteigen können. Oder wir können ihnen die Wahrheit wie einen nassen Lappen ins Gesicht schlagen. Das Ergebnis soll das selbe sein. Wirklich?
Kinder sind keine Pflanzen – sind nicht mal Tiere. Kinder sind eigene Persönlichkeiten und eigene Wesen. Wir dürfen sie ein Stück lang auf ihrem Weg begleiten, bevor sie uns verlassen und einen eigenen Weg gehen – und wir die Welt verlassen. Wenn wir sanft und fein einen Weg vorgehen, den sie uns folgen, dann tun wir das richtige.
Was geben wir den Kindern mit? Eine gute Problemlösungsstrategie. Eine Möglichkeit, Probleme zu analysieren und die richten Schlüsse zu ziehen. Die Fähigkeit zu diskutieren und abzuwägen, vor allem das Gemachte zu reflektieren und zu verbessern.
Wir geben unseren Kindern permanent die beiden Botschaften mit: Werde selbständig und bleibe abhängig. Wir sagen, sie sollen Lösungen suchen – wir tun jedoch so viel für sie, dass sie abhängig bleiben. Wir putzen ihre Zähne, obwohl sie es selber könnten, oder waschen ihre Wäsche, wenn sie grösser sind. Wir sollten sie ermutigen, sich einzubringen und die Saschen selbst anzupacken. Sie sollen im Familienteam im Unternehmen „Familie“ mitarbeiten und sich einbringen.
Unsere Aufgabe ist es zu akzeptieren, wenn das Kind irgendwo andere Werte und Meinungen hat. Wir dürfen und müssen diskutieren, und nur im „Notfall“ durchgreifen. Regeln sind natürlich einzuhalten – aber wir strafen nicht nur (Ast absägen), sondern wir versuchen auf eine gute Art Einfluss zu nehmen. Und uns nicht ins Bockshorn jagen zu lassen!
Kinder sind keine Projekte mit Meilensteinen und Endpunkten, haben kein Budget. Kinder entwickeln sich, und wir können mit Liebe, Empathie und Grenzen setzen arbeiten. Nock viel mehr sollen wir ein Vorbild sein und akzeptieren, dass nicht alles so ist, wie wir es wollen. Jede Krise ist eine Chance: Und hier können wir durch kluges Handeln und überlegen vorleben, was auch nachgelebt werden kann.
Ich glaube nicht, dass die Kinder nur ein Spiegel unser Selbst sein sollen. Ich glaube aber fest daran, dass wir sie stärken können, wenn wir sie lernen, Problemlösungsstrategien zu entwickeln und zu verfeinern. Wenn sie ein gutes und gesundes Selbstvertrauen haben, reflektiert sind, dann sind sie gerüstet, um alle Probleme der Welt anpacken zu können; hier sollte unser Fokus liegen! Pädagogik, eben!